Ratgeber| 28.11.2025

Altern ist mehr als nur alt sein

Warum wir den natürlichen Prozess des Alterns besser verstehen und aktiv gestalten sollten.

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von Dr. med. Adrian Bisig

Altern beginnt nicht erst im Rentenalter, sondern mit der Geburt und begleitet uns ein Leben lang. Dennoch wird dem Alter in unserer leistungsorientierten Gesellschaft oft weniger Wert beigemessen, besonders wenn Menschen auf Unterstützung oder Pflege angewiesen sind. Das zeigt sich etwa in Form von Altersdiskriminierung (engl.: Ageism). Dabei handelt es sich um Vorurteile oder Benachteiligungen von Menschen aufgrund ihres Lebensalters, etwa mit der Annahme, sie seien weniger kompetent bei digitalen Themen. Auch im Alltag werden sie oft unbewusst langsamer oder lauter angesprochen, zum Beispiel wegen vermeintlicher Hör- oder Verständnisprobleme.

Dass wir heute überhaupt so alt werden, verdanken wir medizinischem Fortschritt, besserer Hygiene und Ernährung. Noch vor 150 Jahren lag die durchschnittliche Lebenserwartung in der Schweiz bei etwa 40 Jahren. Bis heute hat sie sich mehr als verdoppelt.

Was passiert beim Altern im Körper?
Altern ist ein natürlicher, komplexer Prozess. Dabei spielen genetische Faktoren ebenso eine Rolle wie Umwelteinflüsse.

Zu den zentralen Mechanismen zählen Schäden an der Erbsubstanz (DNA), welche im Laufe der Zeit zunehmen. Reparaturmechanismen funktionieren weniger gut. Die Zellen verlieren an Leistungsfähigkeit, die Organe arbeiten langsamer.

Auch epigenetische Veränderungen, wie die sogenannte DNA-Methylierung, beeinflussen die Zellfunktion. Sie werden gerne zur Bestimmung des «biologischen Alters» herangezogen – also um zu bestimmen, wie «alt» unser Körper wirklich ist. Zudem altern die Mitochondrien, die «Kraftwerke» unserer Zellen, was die Energieversorgung verschlechtert.

Dies alles führt zu leichten, chronischen Entzündungen im Körper, die wiederum Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Leiden oder Demenz begünstigen können.

Können wir den Alterungsprozess beeinflussen?
Die Forschung arbeitet intensiv daran, Altern besser zu verstehen. Doch ein «medikamentöser Jungbrunnen» wurde bisher nicht gefunden. Und selbst wenn eines Tages Mittel gegen typische Altersveränderungen verfügbar wären, stellten sich ethische Fragen: Wollen wir einen natürlichen Prozess zur Krankheit erklären? Hat das Altern nicht auch einen biologischen und gesellschaftlichen Sinn?

Zur Beeinflussung des Alterungsprozesses gibt es diverse Forschungsansätze:
Ein altbewährtes Diabetesmittel scheint bei Menschen mit Altersdiabetes günstig auf die gesunde Lebensspanne zu wirken. Ob dies auch für Menschen ohne Diabetes gilt, ist aktuell Gegenstand grosser Studien. Bisher scheinen Nebenwirkungen die eigentliche Wirkung zu übertreffen.

Senolytika zielen darauf ab, nicht mehr funktionsfähige Zellen zu entfernen. Erste Studien zeigen leichte Verbesserungen der Organfunktionen aber bisher ohne nennenswerten gesundheitlichen Wert für den ganzen Menschen. Grössere Studien sind in Planung.

Weitere Substanzen zeigen in Tierversuchen positive Effekte auf das Immunsystem von Versuchstieren. Beim Menschen sind die Studien noch in den Anfängen.

Auch Nahrungsergänzungsmittel werden oft – teils in sehr hohen Dosierungen angepriesen. Dies insbesondere im Rahmen der sogenannten «Longevity-Bewegung». Viele Ergebnisse hierzu sind jedoch widersprüchlich. Aktuell bestehen nur für folgende Empfehlungen fundierte Daten:

Vitamin D für Säuglinge und ältere Menschen über 65 Jahre beziehungsweise bei Risiko für einen Mangel

Jod im Kochsalz als Schutz vor einem Kropf

Nahrungsergänzungsmittel wie beispielsweise Vitamin B12, Folsäure, Calcium oder Eisen sind nur bei Mangel oder in besonderen Lebenssituationen (zum Beispiel Schwangerschaft, vegane Ernährung) empfohlen

Was wirklich hilft: Ein bewusster Lebensstil
Entgegen den bisher enttäuschenden medikamentösen Ansätzen ist der Nutzen folgender Lifestyle-Massnahmen bezüglich Lebensqualität und gesunder Lebensdauer eindeutig belegt.

Bewegung
Täglich 30 Minuten moderate Bewegung genügen. Spazieren, Hausarbeit, Gartenpflege oder Treppensteigen anstelle der Liftbenutzung sind ausreichend. Wer mag, kann zusätzlich tanzen, Yoga oder Gymnastik machen. Das fördert nicht nur die körperliche, sondern auch die seelische Gesundheit.

Ernährung
Im Alter verändert sich der Nährstoffbedarf. Ab 65 Jahren wird täglich etwa die Aufnahme von 1 Gramm Eiweiss pro Kilogramm Körpergewicht empfohlen, idealerweise in Portionen von mindestens 25 Gramm (entspricht etwa einer Portion Lachs, Huhn, Hartkäse oder Seitan). Das ist ein wichtiger Faktor bei der optimalen Stimulation des Muskelaufbaus. Besonders die Aminosäure Leucin ist hilfreich. Molkenprodukte sind besonders reich an Leucin.

Geistige Anregung
Neugier und geistige Offenheit halten das Gehirn fit. Neue Dinge lernen, andere Wege gehen, sich auf Unbekanntes einlassen. Schon die Entdeckung des bisher unbekannten Dorfladens im Nachbarort kann ein Abenteuer sein.

Soziale Kontakte
Einsamkeit ist ein wichtiger Risikofaktor bei Depressionen und Demenzerkrankungen. Der Austausch mit anderen, gemeinsame Aktivitäten oder freiwilliges Engagement – etwa in Alterszentren wie dem Pflegezentrum des Spitals Limmattal – sind vorbeugende und sinnhafte Tätigkeiten.

Altern mit Würde – und Lebensfreude
Trotz aller Bemühungen lässt sich der Alterungsprozess nicht aufhalten – kleinere und grössere Einschränkungen gehören irgendwann dazu. Wichtig bleibt eine positive Einstellung dem Leben gegenüber. Hilfsmittel wie Gehstöcke oder Rollatoren erlauben es, das Leben weiterhin möglichst autonom zu geniessen. Offenheit solchen Alltagshelfern gegenüber erleichtert viele Lebenssituationen. Als Gesellschaft müssen wir wieder lernen, das Altern nicht als Verlust von Fähigkeiten, sondern als Schatz an Erfahrung und Reife zu sehen. Statt auf das halb leere Glas zu schauen, lieber auf das halb volle – und den Inhalt gemeinsam geniessen.

Dieser Artikel wurde am 15. Oktober 2025 in der Limmattaler Zeitung publiziert.

Autor
Dr. med. Adrian Bisig
Ärztlicher Leiter Pflegezentrum, Leitender Arzt Geriatrie

Spital Limmattal
Urdorferstrasse 100
8952 Schlieren

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