Wir stellen unsere Verdauung vor grosse Herausforderungen
Unser heutiges Nahrungsangebot ist sehr vielfältig. Nur schon deswegen haben sich unsere Essgewohnheiten im Vergleich zu vor 100 Jahren stark verändert. Hinzu kommt, dass die Nahrungsmittelindustrie laufend neue Produkte entwickelt: Neue Trends, wie "vegan" oder "High Protein", kommen und gehen.

von Anita Wenk
Eine Herausforderung - Unsere Verdauung leistet viel
In unserer heutigen hektischen Zeit nehmen wir uns zu wenig Zeit für die eigentliche Mahlzeit. Sie wird zu einer Nebenbeschäftigung – oder wir knabbern aus Frust oder Langeweile, auch als "Snacking" bekannt. Mit dieser Fülle an verschiedenen und neuartigen Nahrungsmitteln umzugehen, ist eine immense Herausforderung für unser Verdauungssystem.
Die Aufgabe unseres Verdauungssystem ist es, die Nahrung soweit aufzuspalten, dass die verschiedenen Nährstoffe wie Kohlenhydrate, Fette, Proteine, Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente herausgelöst werden können. Die Verdauungsenzyme aus der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) und der Gallensaft sind dabei unverzichtbar. Ausserdem unterstützt und vereinfacht gut zerkaute Nahrung die Verdauung. Der Verdauungsprozess dauert – abhängig von der Konsistenz und der Art der Mahlzeit – mehrere Stunden, am Ende befindet sich der grösste Teil der Nährstoffe in der Blutbahn. Dort stehen sie unserem Körper als Energie und Co-Faktoren für den Stoffwechsel zur Verfügung. Was in Form von Stuhl übrig bleibt, sind vor allem Flüssigkeit und unverdauliche Nahrungsfasern.
Die Verdauung ist individuell
Nach dem Dünndarm gelangen die übriggebliebene Flüssigkeit und die Nahrungsfasern in den Dickdarm. Dort wird dem Nahrungsbrei in erster Linie Wasser entzogen. Ein überaus wichtiger Bestandteil des Dickdarms sind die Bakterien (Mikrobiom). Die Besiedelung des Dickdarms durch Bakterien ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Schätzungen gehen von 39 Billionen Mikroorganismen in unserem Dickdarm aus. Der grösste Teil davon ist für unsere Verdauung und allgemein für unsere Gesundheit sehr nützlich. In gewissen Situationen können sich aber auch ungünstige Bakterien ansiedeln.
Unterschiedliche Essgewohnheiten, die Verdauungstätigkeit sowie die aktuelle Lebenssituation begünstigen Unterschiede im Mikrobiom und wirken sich so auf die Stuhlkonsistenz, die Gasbildung und schlussendlich auf den Windabgang aus. Es ist also ganz normal, dass unsere Verdauung nicht immer gleich funktioniert und dadurch der Stuhlgang nicht immer gleich ist. Die Medizin definiert eine normale Stuhlausscheidung von dreimal am Tag bis einmal alle drei Tage.
Wenn die Verdauung gestört ist
Es kommt immer wieder vor, dass unsere Verdauung aus dem Gleichgewicht gerät. Dies kann ein kurzanhaltendes Ereignis, wie etwa eine Nahrungsmittelvergiftung wegen Salmonellen oder eine Magendarmgrippe, sein.
Sobald Symptome wie Durchfall, Verstopfung und Blähungen länger als vier Wochen anhalten, spricht man von einer chronischen Situation. Auch Symptome wie Magenbrennen, saures Aufstossen (Reflux), kolikartige Bauchschmerzen, Blut im Stuhl, ungewollter Gewichtsverlust und allgemeines Unwohlsein gehören von einer medizinischen Fachperson abgeklärt.
Was hinter den Beschwerden steckt
Die Hausärztin oder der Hausarzt können diverse Abklärungen in die Wege leiten. In bestimmten Fällen ist auch der Beizug einer Gastroenterologin oder eines Gastroenterologen (Magendarmspezialistin/-spezialist) sinnvoll, um der möglichen Ursache der Beschwerden weiter auf den Grund zu gehen. Dabei ist es wichtig, an eine möglich Zöliakie (Glutenunverträglichkeit) zu denken und diese auszuschliessen.
Nicht selten sind alle Untersuchungen unauffällig, das heisst, es ist kein Tumor, keine Entzündung und keine Fehlfunktion der Organe erkennbar. Die Beschwerden sind hingegen weiterhin vorhanden und beeinträchtigen die Lebensqualität der betroffenen Person. In solchen Fällen spricht die Medizin von einem Reizdarmsyndrom (Colon irritabile).
Wird in der Folge eine Nahrungsmittelintoleranz vermutet, gibt es Tests zur Bestimmung einer Laktose- oder Fruktoseintoleranz. Da diese Tests jedoch nicht das ganze Spektrum der möglichen Intoleranzen abdecken, arbeiten wir in der Ernährungsberatung sehr häufig mit diagnostischen Auslassdiäten – zum Beispiel für FODMAP-reiche Nahrungsmittel ("Fermentable Oligosaccharides, Disaccharides, Monosaccharides and Polyols“) oder Histamin. Im Grundsatz geht es in den Beratungen immer darum, die Lebensqualität zu verbessern und eine ausreichende Nährstoffabdeckung sicherzustellen.
Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass eine Überwucherung von Bakterien und/oder beispielsweise Candida-Pilzen im Dünndarm (auch: Small Intestinal Bacterial Overgrowth, SIBO) zu reizdarmähnlichen Symptomen führt. Diverse Krankheiten, Medikamente und unsere heutigen Essgewohnheiten beeinflussen die Darmtätigkeit und begünstigen die Ansiedlung von Keimen im Dünndarm.
Bei einer SIBO-Diagnose wird in einem ersten Schritt der Therapie mit antibiotisch wirksamen Medikamenten oder Pflanzenprodukten die Anzahl der Mikroorganismen im Dünndarm reduziert. Der zweite Schritt umfasst eine Ernährungsanpassung, damit eine erneute Ansiedlung mit Keimen möglichst vermieden werden kann. Im Spital Limmattal wurde hierzu in enger interprofessioneller Zusammenarbeit von Ernährungsberatung und Gastroenterologie ein neues Behandlungskonzept erarbeitet.
Autorin
Anita Wenk
Ernährungsberaterin BSc
CAS in Nahrungsmittelallergien und -intoleranzen
Spital Limmattal
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