Im Blickpunkt| 22.01.2021

"Es gibt kaum einen vielfältigeren Beruf als jenen der Pflegefachperson"

Pflege- und Hebammenberuf haben sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Susanne Vanini, Pflegedirektorin und Mitglied der Spitalleitung,
sowie Jeannette Mädel, Bereichsleiterin Pflege im Spital Limmattal, über Image, Alltag und Herausforderungen.

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Text von Flavian Cajacob

Die Corona-Pandemie hat uns die Systemrelevanz von Pflegeberufen auf drastische Art und Weise vor Augen geführt. Ende März standen die Menschen sogar auf den Balkonen und spendeten dem Gesundheitspersonal Beifall. Wie kommen solche Aktionen bei Ihnen persönlich an?

Susanne Vanini: Natürlich wirkt es motivierend, wenn man sieht, dass die Öffentlichkeit unsere Arbeit schätzt. Und wenn ich von einem Kind als Dankeschön eine herzige Zeichnung bekomme, dann freut mich das sicherlich. Die Frage aber ist: Wie lange wirkt eine solche Aktion nach – hält die Wertschätzung an, auch wenn der Applaus erst einmal verklungen ist; ändert sich an den Rahmenbedingungen auch nachhaltig und längerfristig etwas?

Jeannette Mädel: Genau. Auch mich hat es beeindruckt, als die Leute für uns geklatscht haben. Gleichzeitig wünschte ich mir, dass die Gesellschaft uns Pflegefachpersonen jenen Stellenwert einräumen würde, der uns eigentlich auch gebührt. Womit wir schliesslich wieder bei der Systemrelevanz wären.

Sie fühlen sich also unterbewertet?


Mädel: Das ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Aber grundsätzlich hat die Öffentlichkeit schon häufig ein falsches oder ein zumindest ein reichlich antiquiertes Bild von uns und unserer Arbeit. Das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass der Begriff "Krankenschwester" nach wie vor nicht aus dem allgemeinen Sprachgebrauch verschwunden ist.

Vanini: "Quarkwickel und Essigsöckli, wenn du das kannst, dann bist du in der Pflege richtig" – Sie glauben gar nicht, wie verbreitet diese Meinung auch heutzutage noch ist! Das wirkt sich mitunter auch auf das Selbstbewusstsein der Pflegefachkräfte aus. Lassen Sie es mich bereits an dieser Stelle einmal gesagt haben: Der Pflegeberuf ist anspruchsvoll, aber ich kann mir ehrlich gesagt kaum eine sinnstiftendere, vielfältigere Arbeit vorstellen.

Gerade deshalb, also um Stellenwert und Selbstbewusstsein der Akteure im Gesundheitswesen zu stärken, hat die WHO 2020 als "Internationales Jahr der Pflegefachpersonen und Hebammen" ausgerufen. Sie beide sind seit über dreissig Jahren in verschiedenen Funktionen auf Ihren jeweiligen Berufen tätig: Wie haben sich diese in dieser Zeit verändert?

Mädel: Die Pflege und mit ihr der Pflege und Hebammenberuf, werden immer komplexer. Weil wir stetig älter werden, nehmen die Mehrfacherkrankungen zu. Auch das zunehmende Alter der Gebärenden birgt zusätzliche Risiken. Das stellt nicht nur die Medizin, sondern auch uns Pflegefachpersonen und Hebammen vor immer neue Herausforderungen. Wer beispielsweise auf der Bettenstation tätig ist, hat es häufig an einem einzigen Tag mit einer ganzen Reihe unterschiedlicher Diagnosen zu tun; das geht von Krebserkrankung über Diabetes bis hin zu Hirnschlag, Demenz und anderen Erkrankungen. Zumindest bei uns am Spital Limmattal müssen oder dürfen Sie deshalb im Pflegebereich auf einer ziemlich breiten fachlichen Klaviatur spielen.

Vanini: Hinzu kommt der Faktor Tempo, die Schnelligkeit, die kürzere Hospitalisationsdauer. Ich kann mich erinnern, dass die Operierten vor dreissig Jahren nach dem Einsetzen einer Hüftprothese zwei Wochen im Spital lagen, heute sind es noch fünf Tage. Die Patienten werden beispielsweise bereits im Aufwachraum mobilisiert, um schnellstmöglich ihre Gehfähigkeiten zurückzuerlangen. Oder bei einer Geburt: Blieben Mutter und Kind früher nach der Geburt bis zu sieben Tage im Spital, gehen sie heute nach vier Tagen nach Hause. Die Bezeichnung "Wochenbett" könnte man vor diesem Hintergrund meines Erachtens langsam, aber sicher einmal revidieren (lacht). Auf alle Fälle müssen wir innert kürzester Zeit eine zielgerichtete Pflege leisten, Patienten und Angehörige beraten, aber auch Komfort gewährleisten.

Das alles wirkt sich auch auf die Aus- und Weiterbildung aus. Welche drei Attribute sind unabdingbar, um als Pflegefachperson zu reüssieren?

Vanini: Da hat sich in all den Jahren wenig verändert. Fachkompetenz einmal vorausgesetzt, sind dies sicherlich die Belastbarkeit, die Anpassungsfähigkeit im Sinne von Flexibilität sowie die Sozialkompetenz und kommunikative Fähigkeiten.

Mädel: Im Unterschied zum fachlichen Wissen also sind das alles Faktoren, die Sie nicht oder nur bedingt erlernen können; die hat man oder man hat sie eben nicht. Mir fällt darüber hinaus auf, dass die Patientinnen und Patienten, aber auch die Angehörigen, heute dank Internet besser informiert sind als früher. Grundsätzlich ist das nicht schlecht, es steigert aber gleichzeitig die Anspruchshaltung. Es gibt Momente, da muss man als Pflegefachperson als "Blitzableiter" herhalten, ganz einfach, weil man die direkteste Bezugsperson ist. Ein dickes Fell zu haben, kann in unserem Beruf also sicherlich auch nicht schaden.

Wie sieht es um den Nachwuchs aus? Wirken sich gesundheitliche Grossereignisse wie die Corona-Pandemie auf den Stellenmarkt aus?

Vanini: Das kann man im Moment noch nicht sagen. Klar ist, dass junge Leute, die vor der Berufswahl stehen, heute wohl mehr als vor einem Jahr erkennen: "Das Gesundheitswesen ist krisenresistent, Pflegefachpersonen braucht es immer – immer mehr". Kurzarbeit, Existenzängste: Wenn Sie in einem Gesundheitsberuf tätig sind und diesen gut ausführen, müssen Sie sich über solche Szenarien wohl eher wenig Gedanken machen.

Mädel: Der Pflegeberuf ist von seiner grundlegenden Ausrichtung her sicherlich attraktiv, gleichzeitig fordert er den Einzelnen aber auch einiges ab. Ich denke da nicht zuletzt an die emotionale Belastung oder an den Schichtbetrieb, die Nachtarbeit und den Wochenenddienst, die immer mal wieder als Malus ins Feld geführt werden. Das sind Tatsachen, die systembedingt mit dem Berufsbild verknüpft sind, denen wir aber so weit als möglich entgegenwirken, in den Dienstplänen beispielsweise oder mit Teilzeitpensen. Wir versuchen, so gut es geht auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden einzugehen.

Vanini: Die Pflege von heute ist sicher nicht mehr mit der Pflege von vor zwanzig, dreissig Jahren vergleichbar. "Work-Life-Balance" ist auch für uns kein Fremdwort. Heute haben Sie zudem viele Möglichkeiten, beruflich weiterzukommen. Im Vergleich zu anderen Berufsfeldern zeitigt die Bologna-Reform im Gesundheitssektor meines Erachtens durchaus positive Ergebnisse. Das System ist durchlässiger geworden, greift bereits früh in der Ausbildung: Es gibt keinen Abschluss ohne Anschluss in den verschiedenen Gesundheitsberufen. Sie können heutzutage den Bachelor oder Master machen, Sie können in der Pflege-, Hebammenforschung oder Pädagogik tätig sein. Sie können sich fachlich spezialisieren oder sich für Führungsaufgaben entscheiden. Es liegt an jeder und jedem Einzelnen, die sich bietenden Möglichkeiten zu nutzen.

Inwiefern unterstützt das Spital Limmattal solche Bedürfnisse – oder anders gefragt: Warum sollte ich unbedingt am LIMMI arbeiten wollen?

Mädel: Ein Punkt, der von Kolleginnen und Kollegen immer wieder positiv hervorgehoben wird, ist sicherlich die Grösse des Spitals Limmattal. Wir sind ein bedeutendes Akutspital mit 1400 Mitarbeitenden und bieten viele verschiedene Fachdisziplinen an. Das macht die Arbeit vielfältig und spannend. Gleichzeitig sind wir wiederum nicht so gross, als dass man einander nicht kennen würde. Der Team-Gedanke am LIMMI ist sehr ausgeprägt. Etwas, das mit Blick auf die Versorgung von Patienten unabdingbar ist: Ich muss mich jederzeit auf meine Kollegin und meinen Kollegen verlassen können!

Vanini: Wir investieren sehr viel Zeit und Mittel in die Aus- und Weiterbildung unserer Pflegefachpersonen. Das beginnt bereits bei den neuen Mitarbeitenden: Sie werden strukturiert und umfassend in ihr jeweiliges Aufgabengebiet eingeführt. Wir befähigen die Mitarbeitenden laufend durch interne und externe Weiterbildungen, damit sie den fachlichen Anforderungen gerecht werden. Vieles passiert aber auch "on the job". Wie Frau Mädel ja bereits ausgeführt hat, ist die Spanne der Aufgaben sehr breit. Das macht uns gerade für Berufseinsteigerinnen und -einsteiger zu einer guten Adresse. Ich würde sagen: Wer einmal am Spital Limmattal gearbeitet hat, trägt fortan einen fachlich gut gefüllten Rucksack mit sich. Sie legen hier ein Fundament, auf dem man erfolgreich aufbauen kann.

Wir haben es bereits erwähnt: Sie schauen beide jeweils auf dreissig Jahre Berufserfahrung im  Gesundheitswesen zurück. Können Sie sich erinnern, was bei Ihnen persönlich den Ausschlag bei der Berufswahl gegeben hat?

Mädel: Ich stamme ursprünglich aus der DDR. Da war das mit der Berufswahl so eine Sache. Eigentlich wollte ich Medizin studieren, das damalige System aber liess das nicht zu. Also habe ich mich für Hebamme entschieden. Ein Beruf, der mich immer sehr erfüllt hat.

Vanini: Bei mir war es eigentlich ein Kindheitstraum, vielleicht hat auch ein wenig das vielzitierte Helfersyndrom mitgeschwungen (lacht). Auf jeden Fall habe ich mich selber nie beispielsweise auf einer Bank gesehen, viel lieber wollte ich für Menschen da sein. Auch wenn ich heute aufgrund meiner Aufgaben trotzdem zahlreiche Stunden im Büro verbringe, so gibt es für mich wie eingangs erwähnt kaum einen spannenderen, abwechslungsreicheren und vor allem sinnstiftenderen Beruf als jenen einer Pflegefachperson.

Pflegeausbildung

In der Schweiz ist die Ausbildung zur Pflegefachfrau / zum Pflegefachmann auf der Tertiärstufe angesiedelt und dauert drei Jahre.

Die Ausbildung kann entweder an einer Fachhochschule (FH, Tertiär A) oder an einer Höheren Fachschule (HF, Tertiär B) absolviert werden. Der Hebammenberuf kann ausschliesslich an der Fachhochschule studiert werden. Die Bildungsgänge HF und FH unterscheiden sich durch unterschiedliche Zulassungsbedingungen und Kompetenzprofile. Beide bereiten jedoch auf die professionelle Berufsausübung vor.

Diese Situation gilt seit 2002, als die Zuständigkeit für die Ausbildung der Gesundheitsberufe in die Bundeskompetenz überging.


Weiterführende Informationen: sbk.ch

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