Die Keime und Dr. Buonomano
Sein Alltag wird von Bakterien, Parasiten, Pilzen und Viren bestimmt: Roberto Buonomano ist Leiter Infektiologie im Spital Limmattal. In seiner Funktion betreut er unter anderem HIV- und Tuberkulosepatienten – und ist darüber hinaus verantwortlich für die Spitalhygiene.
Text und Bilder: Flavian Cajacob
Gut und gerne 4,5 Milliarden Jahre hat die Erde auf dem Buckel. Seit 300’000 Jahren wird sie vom Menschen bevölkert. «Ein Nichts im Vergleich zu den Bakterien, die nämlich sind schon seit rund 3,5 Milliarden Jahren da», sagt Dr. med. Roberto Buonomano und durchmisst zügigen Schrittes die Gänge des Spitals Limmattal. Tempo und Geschwindigkeit sind stete Begleiter des Infektiologen. «Der Mensch und die Keime, das ist ein Wettlauf gegen die Zeit – sie sind uns stets einen Schritt voraus», sagt der 53-Jährige und nimmt zackig die nächste Kurve. Viren und Bakterien haben schon so manch einen Vulkanausbruch, manch eine Überschwemmung, gar Weltuntergänge überlebt – «Medikamente sind für sie keine Herausforderung von Dauer, höchstens eine neue Situation, an die sie sich anzupassen wissen.»
Clevere Gegner
Bakterien und Viren begleiten Mensch und Tier treu über die Jahrmillionen. Sie in ein und denselben Topf werfen zu wollen, wäre indes falsch. Denn ausser der Tatsache, dass beide unter gewissen Umständen krank machen können, weisen sie kaum Gemeinsamkeiten auf. So vermehren sich beispielsweise die viel grösseren Bakterien selbständig durch Zellteilung, derweil die kleineren Viren zur Vermehrung fremde Zellen (sogenannte Wirtszellen) benötigen, denen sie ihre eigenen Erbinformation einschleusen. Auch besitzen Viren keinen eigenen Stoffwechsel, während verschiedene Bakterien Sauerstoff oder Licht brauchen, um zu überleben. Während Viren im Zuge der Corona-Pandemie kräftig an ihrem Ruf als «Feind» des Menschen arbeiten, dem nur schwer beizukommen ist, weisen Bakterien bekanntlich durchaus positive Eigenschaften auf, so etwa im Sauerteig, im Joghurt und natürlich in der Darmflora. Die Mikroorganismen sind für den Menschen letztlich (über)lebenswichtig. Etwa 100 Trillionen von ihnen tummeln sich im und auf unserem Körper – das ist hochgerechnet ein Bakterienmob von 2 Kilogramm Gewicht!
«Der Mensch und die Keime, das ist ein Wettlauf gegen die Zeit – sie sind uns stets einen Schritt voraus.»
Neue Keime und solche, die mutieren, sich unter Umständen gar unbeeindruckt zeigen von Abwehrmassnahmen, stellen die Medizin laufend vor neue Herausforderungen. Wer sich intensiv mit der Materie befasse, dem werde es so schnell nicht langweilig, bemerkt Buonomano. Keime adaptierten sich, die Mobilität und damit die Übertragung von Krankheiten nehme bekanntlich zu und neue Medikamente bremsten das Immunsystem teilweise aus – all das führe in der Praxis immer wieder zu schwierigen Situationen: «In der Infektiologie ändert sich die Situation laufend.» Was gestern noch gewirkt habe, wirke heute vielleicht nur noch bedingt – und morgen schon sehe alles noch einmal ganz anders aus. Was ihn und seine Kolleginnen und Kollegen rund um den Erdball ganz besonders auf Trab hält, sind die multiresistenten Keime, denen mit herkömmlichen Antibiotika nicht beizukommen ist. «Insofern ist es äusserst wichtig, dass der Arzt stets abwägt, ob, wann und wie viel Antibiotika er einsetzt – nicht nur im Sinne des Einzelfalls, sondern eben auch mit Blick auf das Spital und letztlich die ganze Gesellschaft», sagt Buonomano.
Prävention ist alles
Der Leiter Infektiologie und Spitalhygiene ist im Labor angekommen. Hier warten in fein säuberlich verschlossenen Petrischalen verschiedene Proben auf ihn, mit denen sich beispielsweise Streptokokken, also fleischfressende Bakterien, nachweisen lassen. In der Nährsubstanz vermehren sich die Bakterien in Windeseile. Da die Erreger ausgesprochen clever sind und sich nach Krankheitsausbruch nur schwer oder teilweise gar nicht bekämpfen lassen, ist ein Hauptziel
der Infektiologie die Prävention. Denn was sich nicht etablieren, vermehren und verbreiten kann, stellt logischerweise auch keine oder nur bedingt eine Gefahr für den Menschen dar.
Nur logisch also, ist der Bereich Spitalhygiene ebenfalls dem Infektiologen und seinem kleinen Team unterstellt. «Das verbindende Element ist der gemeinsame Gegner, das sind immer die Keime», betont Buonomano. Im Klinik-Alltag gilt es zum einen, Menschen mit zum Teil lebensbedrohlichen Infektionen zu behandeln. Zum anderen muss gleichzeitig sichergestellt werden, dass Infektionen erst gar nicht ins Spital gelangen, hier keine Herde entstehen oder die Krankheitserreger das Haus nicht verlassen. Die zentrale Frage laute deshalb immer: «Was machen wir, damit die Leute nicht krank werden, und was machen wir mit jenen, die bereits erkrankt sind?»
«Das verbindende Element ist der gemeinsame Gegner, das sind immer die Keime.»
Ein besonderes Augenmerk, was die Spitalhygiene anbelangt, gilt im Spital Limmattal der Schulung und der Sensibilisierung. Roberto Buonomano ist gerade daran, ein umfangreiches Handbuch zu überarbeiten und der aktuellen Situation und künftigen Herausforderungen anzupassen. «Wir richten uns grundsätzlich nach internationalen und nationalen Standards, das fängt bei der Handhygiene an, geht über den sicheren Umgang mit Kathetern und reicht bis zur korrekten Einstellung und Kontrolle der Belüftungsanlagen.» Durch gezielte Prävention und die strikte Einhaltung von Hygienemassnahmen seitens des Personals aber auch der Patienten und Besucher, lässt sich denn auch ein wesentlicher Anteil der Spitalinfektionen verhindern.
Der Detektiv im Mediziner
Seine Aufgabe als Infektiologe sei nicht zuletzt, stets um drei Ecken zu denken, nebst all den logischen Gegebenheiten ebenso das Unmögliche in Betracht zu ziehen, sowohl was Gefahrenpotentiale im Hause anbelange, als auch Ansätze, welche die Therapie eines Patienten beträfen. «In der Spitalhygiene wie in der Infektiologie per se spielt sich sehr viel in der Theorie ab», erklärt Buonomano. «Wir stehen ja nicht wie unsere Kollegen von der Chirurgie am Operationstisch,
sondern beschäftigen uns mehr mit Proben und Analysen, häufig mit diffuser Materie eben.» Insofern müsse einem grundsätzlich ein gewisser detektivischer Ehrgeiz innewohnen, damit man diesen Job machen könne.
Corona habe überdies die Zusammenarbeit mit den anderen Zürcher Spitälern im Bereich Infektiologie und Spitalhygiene intensiviert, erklärt Buonomano. «Wir führen wöchentlich Telefonkonferenzen durch, tauschen uns fachlich aus, sprechen uns ab und lassen andere an unseren Erfahrungen teilhaben, von Konkurrenz ist da überhaupt nichts zu spüren – wenn man so will, kann man dies durchaus als positiven Effekt der Pandemie werten.»
Analysieren, studieren, kombinieren, und das alles hinter Spitaltüren: Da drängt sich dem Laien natürlich umgehend der Vergleich mit dem mürrischen Fernseh-Arzt Dr. House auf, der grübelnd und sinnierend seine Kollegen wahlweise überzeugt oder in den Wahnsinn treibt – immer aber das Leben seiner Patientinnen und Patienten rettet. Roberto Buonomano lacht. Ja, auch Dr. House sei von Haus aus Infektiologe, doch damit habe es sich dann auch schon mit den Gemeinsamkeiten zum neurotischen, mitunter für sein Umfeld unausstehlichen Berufskollegen …
Natürlich hat SARS-CoV-2, oder umgangssprachlich eben Corona, einen direkten Einfluss auf die tägliche Arbeit des Infektiologen Buonomano. Prävention und Therapie gingen hier nahtlos ineinander über, das mache das Ganze so schwierig, sagt er. Gleichzeitig mahnt er, all die übrigen Infektionskrankheiten nicht zu vergessen. HIV beispielsweise ist nach wie vor nicht heilbar, Medikamente können Betroffenen aber ein mehr oder weniger uneingeschränktes Leben ermöglichen. Ebenso ist die Tuberkulose nicht verschwunden, sondern eher wieder am Aufkommen, selbst in unseren Breitengraden. Die Liste der Infektionskrankheiten ist letztlich lang und äusserst mannigfaltig. Die Forschung macht zwar Fortschritte, doch gerade im Hinblick auf die Entwicklung neuer Antibiotika wünscht sich der Infektiologe mehr revolutionäre Ansätze.
Es geht gegen Abend zu. Buonomano legt die Petrischale beiseite, desinfiziert sich die Hände und eilt aus dem Labor in Richtung Sprechzimmer, wo schon ein Patient auf ihn wartet. Wie hält er es persönlich eigentlich mit den Viren und Bakterien – machen sie ihm Angst? «Angst nicht, nein, Respekt aber habe ich schon», sagt der Infektiologe. Er habe im Zuge seines Berufsalltags gelernt, damit umzugehen und wisse, wie er sich schützen müsse und könne. So kompliziert
sich die Materie häufig gebärde, so simpel sei die Erkenntnis, meint Roberto Buonomano und wäscht sich noch einmal die Hände: «Keime haben uns Menschen schon immer begleitet, sie werden uns auch in Zukunft begleiten und sie werden uns letztlich überleben. Sie gehören ganz einfach zum Leben.»